Benefiz Konzert zu Gunsten Gassenküche Schaffhausen
<h1>Benefizkonzert für die Gassenküche</h1>
Am 9. Juni findet in Flurlingen im Rebschopf des Weinguts 8247 ein Benefizkonzert des Duos kaiserLukas mit Apéro und Abendessen statt. Der Ticketerlös geht an die Gassenküche, die sich um die Verpflegung der Konzertbesucherinnen und -besucher kümmert.
Bericht aus der Schaffhauser Nachrichten
In Schaffhausen besuchen immer mehr Menschen die Gassenküche. Ihre Geschichten sind vielseitig. Bei einem Besuch vor Ort erzählt Leiterin Judith Pallotta aus dem Alltag der Helferinnen und Helfer und weshalb sogar die Gassenküche in manchen Situationen zu wenig niederschwellig ist.
«Schön, kommt ihr mal nicht an Weihnachten», sagt Judith Pallotta, Leiterin der Gassenküche, als sie durch den Betrieb an der Hochstrasse führt. Zu dieser Zeit denke man immer an sie, dabei ist ihre Arbeit das ganze Jahr aktuell – und zu Zeiten von steigenden Lebenshaltungskosten sowieso.
Pallotta führt vorbei an farbigen Bildern, der Küche und dem Speisesaal mit seiner grünen Tapete, wo Ausgaben der SN und der Schaffhauser AZ für die Gäste bereitliegen. «Manche kommen extra etwas früher, um die Zeitungen zu lesen.» Noch bleibt aber etwas Zeit, es ist 10 Uhr, um halb 12 öffnet die Gassenküche.
Heute arbeiten vier Helferinnen und Helfer in der Küche, immer dabei ist eine tagesverantwortliche Köchin, heute Rita Mettler. Gerade wird Fenchel gerüstet, Pastasalat steht schon bereit. Liudmyla Tanner macht grade Rüeblisalat und das Dessert – Vanillecreme – ist auch schon fertig.
Für die Tagesverantwortliche beginnt der Arbeitstag um 8 Uhr, sie bestimmt das Menü. 30 Minuten später kommen die Helferinnen und Helfer und es wird gerüstet, gekocht, Wäsche gewaschen und Tische gedeckt. Einige Helfer kommen vom Integrationsprogramm des Sozialamts. «Aber es sind die Freiwilligen, die unser System tragen», sagt Pallotta. Diese seien grösstenteils Seniorinnen und Senioren, die jeweils an einem fixen Wochentag mit anpacken.
In einem Nebenraum hört man das Klappern von Plastik. Heinz Hegetschweiler sortiert gerade Tupperware. «Eine grosse Portion für J., Suppe für S.» Alle Behälter sind angeschrieben. Sie sind für die Heroinabhängigen, die die Heroingestützte Behandlung (HeGeBe) nebenan besuchen. Sie erhalten ihre Mahlzeiten zum Mitnehmen. «Das ist quasi die Urklientel der Gassenküche, für sie wurde dieser Ort geschaffen. Diese Menschen mögen kein ganzes Menü bei uns im Saal essen. Sie haben jeweils erst später Hunger und essen dann irgendwann kalt, aber Hauptsache sie essen», sagt Pallotta.
Auch andere Gäste können ihr Menü für drei Franken mitnehmen – in selbst mitgebrachter oder von der Gassenküche gestellter Tupperware, Einwegbehälter werden seit Corona nicht mehr verwendet. «Das braucht zu viel Lagerraum, ist teuer und produziert Abfall ohne Ende.» Wenn sie vor Ort essen, zahlen sie 5.50 Franken für Suppe, Salat, einen Hauptgang, ein Dessert und Kaffee.
«Wir sind kein Restaurant»
Die Gäste der Gassenküche und ihre Geschichten sind vielseitig: Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, die einsam sind, deren Rente nicht reicht, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, Abhängige. Das Gemeinsame: Sie haben oftmals keine Tagesstruktur. «Aber uns steuern sie an, wir sind wie ein Fixpunkt, sie wissen, mittags kommen sie hierher.»
Manchmal sind sie aber auch zu früh dran. «Heute Morgen war bereits eine Stammgästin hier, die etwas verwirrt war. Wir haben ihr dann einen Kaffee gemacht und weil das Wetter so schön ist, ging sie wieder.»
Ab und zu gebe es auch Gäste, bei denen Pallotta nicht sicher sei, ob sie tatsächlich in die Gassenküche gehören. «Dann muss ich auch mal jemandem sagen, ‹sorry, wer genug im Portemonnaie hat, gut am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann und gesundheitlich fit ist, soll nicht herkommen›. Wir sind für die, die ganz unten sind.» Die meisten würden dann verstehen. «Es hat auch schon mal jemand gesagt, ‹aber euer Essen ist so gut, ich bezahle auch 25 Franken›. Aber so geht das nicht, wir sind kein Restaurant.» Das seien aber Ausnahmefälle.
Allgemein gebe es mehr Gäste als noch vor ein paar Jahren, aber die Zahl variiere täglich und sei nicht festzumachen am Wetter oder der Jahreszeit. «Das kann man in keine Statistik packen.» Wieder kommt Pallotta auf Weihnachten zu sprechen. «Manche kommen an diesen Tagen sehr gern, weil sie einsam sind und Nähe suchen.» Andere wiederum meiden dann selbst die Gassenküche. «Man stelle sich vor, diese besinnliche Stimmung ist dann am Bahnhof, in der Altstadt, in den Läden. Überall ‹Blingbling› und ‹Halleluja› – und ihr Leben ist noch derselbe Scheiss wie vorher.» Deshalb sei man mit Deko auch sehr sparsam, sodass niemand erdrückt werde.
Sie hätten gern länger offen
Im Schnitt kommen etwa 30 Personen pro Tag. Das Durchschnittsalter liege bei 50+, so Pallotta, die Mehrheit sei männlich. Und die Jungen? «Das ist paradox», sagt sie. Die Schaffhauser Szene sei eigentlich jung, beispielsweise viele der Leute, die ihre Freizeit am Bahnhof verbringen. «Aber die haben ihre Prioritäten nicht bei einem Zmittag. Sie leben in den Tag hinein, trinken vielleicht am Morgen drei Bier, haben dann keinen Hunger und wenn sie Hunger haben, sind wir geschlossen. Und 5.50 Franken sind ihnen zu teuer, dafür können sie sich mehrere Dosen Bier kaufen.» Für diese Leute sei man zu wenig niederschwellig, «wir haben doofe Öffnungszeiten. Ich würde gerne bis um 18 Uhr offen haben, aber dazu fehlen die Ressourcen.» Deshalb arbeitet die Gassenküche eng mit der aufsuchenden Sozialarbeit zusammen. «Wenn ich Nahrungsmittelspenden, zum Beispiel vom Bedabeck, erhalte, gebe ich sie der Aufsuchenden, damit sie diese gratis am Bahnhof abgeben.»
Mittlerweile ist es 11.30 Uhr und die ersten Gäste treffen ein. Judith begrüsst alle mit Namen. Zwei ältere Damen sind da. Seit zwei Jahren kommen sie regelmässig hierher, sagt die eine. «Ich habe zu wenig Rente – und man kann hier gut Freundschaften schliessen.» Die andere erzählt von ihren gesundheitlichen Problemen. «Ich habe überall Nägel im Körper.» Pallotta kommt dazu: «Bist du ein Cyborg?» Sie wolle möglichst immer gute Stimmung verbreiten, erklärt sie später. «Wir lachen viel hier. Die meisten haben sonst so einen schweren Rucksack zu tragen, dann sollen sie es hier wenigstens lustig haben.»
Auch die Frau, die am Morgen zu früh war, ist wieder da. Heute sei sie gut drauf, meint Pallotta. Die Frau erzählt, sie habe früher hier geholfen, die Pflanzen zu giessen. Immer wieder wechselt sie auf Französisch. «Wie lange kommst du schon hierher?», fragt Judith. «Phuuu. Longtemps.» Im Gang deutet sie auf ein paar Bilder, schwarzer Hintergrund mit grünen, gelben und pinken Farbklecksen. «Die habe ich gemalt. Es sind Blumen.» Es hängt ein weiteres Bild an der Wand, es stamme von einem anderen Stammgast. Dieser sei leider gestorben. Mit Todesfällen ist die Gassenküche immer wieder konfrontiert. «Es sterben auch Leute, die dann erst durch unser Nachfragen gefunden werden. Sie sind so einsam, dass es niemand sonst merkt.» Pallotta zögert kurz. «Erst wenn es anfängt zu stinken im Block.» Wer hier arbeite, müsse sich abgrenzen können. «Man hört dramatische Geschichten. Wenn man die in einem Film sehen würde, würde man denken: Ui nei, das kann nicht echt sein. Und dann passiert es im echten Leben.»
Es sind die Randgeschichten
Im Speisesaal kann es auch mal ruppig zu und her gehen. «Es gibt Futterneid, Streit wegen ‹Stammplätzen›, ein bisschen so wie im Kindergarten.» Da alle willkommen seien, gebe es manchmal ungünstige Konstellationen. «Wenn jemand eine Psychose schiebt, und das ein anderer nicht verträgt, wird auch mal ein Stuhl umgeschmissen und es heisst dann: ‹Das verdirbt mir den Appetit.› Das verbreitet sich dann wie ein Lauffeuer.» Aber das sei die Gassenküche. «Es mänschelet überall. Bi üs eifach bitzli meh.» Gewaltausbrüche seien aber äusserst selten. «In den 15 Jahren, die ich hier arbeite, musste ich einmal die Polizei rufen, und auch da herrschte keine direkte Bedrohung für uns.»
Angesprochen auf die 15 Jahre, sagt Pallotta: «Erschreckend, ich war noch nie so lange an einem Ort.» Sie lacht. Ursprünglich habe sie befristet als Springerin angefangen. «Ich habe mich in das System und die Leute verliebt und blieb. Und dann – haben wir schon 2024? Meine Güte – übernahm ich 2017 die Leitung.
Gibt es nach einer so langen Zeit eine Begegnung, die ihr besonders geblieben ist? «Unzählige.» Es gebe traurige Begegnungen, Menschen, die im Endstadium einer Krebserkrankung seien. «Dann fragst du sie, ob sie darüber sprechen wollen, und sie sagen: ‹Nein, ist gut, ich bin ja jetzt hier›.» Es seien die kleinen Randgeschichten, Gäste, die nochmals zurückkommen, um Feedback zu geben. «Wenn sie über die Theke strahlen und sagen: ‹Es isch so fein gsi› oder ‹Ich ha nid gwüsst, dass Misosuppe so guet isch, ich ha dänkt, das isch gruusig›.» Und es seien Menschen wie die Stammgästin von heute Morgen. «Sie wird älter, verwirrter, aber wenn sie zu mir kommt, voller Freude sagt: ‹Judith, merci beaucoup›, sich ihren Kaffee schnappt und in die Sonne sitzt. Dann denk ich mir: Wenn sie nur für fünf Minuten glücklich ist, hat sie meinen Tag schon wieder besser gemacht.»